Sonntag, 22. November 2020, 15:22 Uhr

Viel Lärm für nichts

Leserbrief zum Artikel "Tempo 50 ist in der Stadt bald Geschichte" der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 21.11.2020
https://www.lkz.de/lokales/stadt-ludwigsburg_artikel,-tempo-50-ist-in-der-stadt-bald-geschichte-_arid,615021.html

Im obigen Artikel der LKZ vom 21.11.2020 sind wir über den Absatz mit der Überschrift "Wird der Verkehrslärm immer schlimmer?" gestolpert.

…und über die sofortige Verneinung im folgenden Satz:
"Nein. Ganz im Gegenteil!"

…sowie über das Ende des Absatzes:
"Auch der technische Fortschritt trägt dazu bei, dass Autos immer leiser werden."

So "ganz im Gegenteil" wie der Autor Christian Walf zusammenfasst, entwickelt sich der Verkehrslärm leider nicht.

Der technische Fortschritt findet sich - zumindest, wenn wir von innerörtlichen Geschwindigkeitsbereichen sprechen - lediglich bei Elektro-Autos. Ähnlich wie beim Schadstoffausstoß gab es in den letzten Jahren ein schamloses Ausnutzen von Gesetzeslücken und Grauzonen unter Tolerierung der zuständigen Behörden.
(Siehe zum Beispiel: https://www.welt.de/wirtschaft/article167543376/Nach-Dieselgate-droht-jetzt-der-Dezibel-Skandal.html)
Für die Zulassung entscheidend ist nämlich nicht der gesamte Drehzahlbereich - es wird also ein unrealistisches Szenario vorausgesetzt.

Porsche und andere Sportwagenhersteller bauen zum Beispiel Klappen in die Abgasanlage ein. Der Kunde kann im Auto per Knopfdruck entscheiden, wie laut sein KFZ ist. Man kann ja schließlich nicht verlangen, dass ein Sportwagen so leise ist, wie eine Luxuslimousine - auch, wenn die Preisklasse dieselbe ist. Fragt sich nur, ob die Psyche und Gesundheit der Menschen, die nicht im jeweiligen Auto sitzen, darauf Rücksicht nehmen.

Geradezu pervers ist die Situation bei Motorrädern: Während der Tuningmarkt bei Abgasanlagen lediglich auf eine eine Erhöhung der Lärmemissionen ausgerichtet ist, bietet der Zubehörmarkt den armen, gestressten Motorradfahrern inzwischen Helme mit Hörschutz an - damit der selbst produzierte Sound einem nicht zu sehr auf die eigenen Nerven geht. Die Serienproduktion der Motorräder wurde übrigens aufgrund des durchschlagenden Erfolgs der Tuningteile angepasst - die Gesamtpalette ist über die letzten Jahre lauter geworden.

Das alles müssen sich Anwohner - trotz der wissenschaftlich belegten Gesundheitsgefährdung, die sich nicht nur auf das Gehör, sondern auch auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen erstreckt - zum Wohle der Automobil- und Motorradindustrie gefallen lassen. Es bleibt zu untersuchen, in wie weit verharmlosende Medienberichte - wie zum Beispiel der zitierte LKZ-Absatz - zu dieser unsäglichen Situation beitragen.

Es könnte sein, dass inzwischen bei Auto- und Motorrad-Enthusiasten, sowie bei der Industrie ein Umdenken stattgefunden hat. Der Beweis dafür müsste allerdings erst erbracht werden. So oder so bleiben uns Dank der laschen Gesetzgebung diese lärmintensiven Maschinen bis zu ihrer Verschrottung erhalten. Wir werden uns also noch eine Weile damit herumschlagen müssen.

Michael Jarosch, Ingersheim
für LudwigsKlima